Lesetipp:

Bösebrücke, Bornholmer Straße

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Auf der Böse­brü­cke – bis 1989 im DDR-Voka­­bu­lar noch „Grenz­über­gangs­stel­le Born­hol­mer Stra­ße“ – erreich­ten DDR-Bür­­ger am spä­ten Abend des 9. Novem­ber 1989 eine Öff­nung der Ber­li­ner Mau­er, womit ihr end­gül­ti­ger Fall ein­ge­lei­tet war. Das allein macht die­se Brü­cke zu einem beson­de­ren Geschichts- und Ver­kehrs­ort. Doch auch vor und nach den Mau­er-Jah­­ren spiel­te die Brü­cke in der Ber­li­ner Stadt­ge­schich­te von Beginn an eine wich­ti­ge Rolle.

Bösebrücke, Bornholmer Straße

Seit ihrer Eröff­nung als Hin­den­burg­brü­cke im Jah­re 1916 hat­te die­ses Bau­werk – mit Aus­nah­me der 28 Mau­er-Jah­­re – immer eine ver­bin­den­de Funk­ti­on. Und es funk­tio­nier­te im Zusam­men­wir­ken mit ande­ren Ver­kehrs­trä­gern. Wer vor dem Zwei­ten Welt­krieg per Zug vom Stet­ti­ner Bahn­hof an die Urlaubs­or­te der Ost­see­küs­te reis­te, muss­te unter der Brü­cke hin­durch; ab 1924 unter­quer­ten die ers­ten elek­tri­schen S-Bahn-Züge die Brü­cke. Die S-Bahn erhielt 1935 direkt unter der Brü­cke eine eige­ne Sta­ti­on: Born­hol­mer Stra­ße. Stra­ßen­bah­nen roll­ten hier zu ver­schie­de­nen Zei­ten über die Fern- und S-Bahn-Glei­­se, seit 1995 nach jahr­zehn­te­lan­ger Zwangs­pau­se nun auch wie­der regelmäßig.

Bösebrücke, Bornholmer Straße

Seit ihrer Eröff­nung boten sich von der Brü­cke wei­te Aus­bli­cke auf die groß­flä­chi­gen Bahn­an­la­gen, die nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung voll­stän­dig erneu­ert und zum Nord­kreuz aus­ge­baut wur­den. Bei der Grün­dung Groß-Ber­­lins im Jah­re 1920 wur­de die west­li­che Gren­ze des Bahn­ge­län­des unter der Brü­cke zur Bezirks­gren­ze zwi­schen Prenz­lau­er Berg und Wed­ding. Im Kal­ten Krieg trenn­te die­se zunächst unauf­fäl­li­ge regio­na­le Gren­ze den Ost­sek­tor von den West­sek­to­ren, und nach dem Mau­er­bau im August 1961 war die frü­he­re Gren­ze zwi­schen zwei Ber­li­ner Bezir­ken zum Teil der poli­ti­schen Gren­ze zwi­schen den dama­li­gen Welt­blö­cken gewor­den – und streng bewach­te „Grenz­über­gangs­stel­le“. Die Brü­cke selbst war durch die unter ihr ver­lau­fen­de Gren­ze geteilt: 108 m Ost und 30 m West. Das führ­te zu kurio­sen Situa­tio­nen. Bei­spiels­wei­se strit­ten Ost und West um die Finan­zie­rungs­an­tei­le bei not­wen­di­gen Erhal­tungs­ar­bei­ten. Auch das umlie­gen­de Bahn­ge­län­de war von poli­ti­schen Strei­te­rei­en betrof­fen, wovon zu lesen heu­te skur­ril anmutet!

Bösebrücke, Bornholmer Straße

Wer heu­te von der Brü­cke schaut, fin­det kaum noch Spu­ren der Grenz­ver­gan­gen­heit. Dass sie immer noch zwei Ber­li­ner Bezir­ke trennt, Mitte(-Wedding) und Pankow(-Prenzlauer Berg), ist ein letz­ter Rest von (nicht spür­ba­rer) Gren­ze auf der Bösebrücke.

Micha­el Günther
Ber­li­ner Ver­kehrs­or­te im Wech­sel der Zeiten
Böse­brü­cke, Born­hol­mer Straße
In: Ver­kehrs­ge­schicht­li­che Blät­ter, Heft 5/​​2014, S. 114-128

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